5 Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie: wissenschaftliche Aufarbeitung oder Untersuchungsausschuss?

5 Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie ist es wirklich höchste Zeit, diese schwerste Gesundheitskrise, die uns alle enorm herausgefordert hat, aufzuarbeiten, damit wir beim nächsten Mal besser aufgestellt sind. Die Bearbeitung durch die Akademie der Wissenschaft war ein guter Anfang, aber eben nur ein erster Schritt.

Ich habe diese Aufarbeitung bereits 2022 begonnen, indem ich mein Buch „Pandemia“ geschrieben und veröffentlicht und 55 Lesungen in ganz Österreich und deutschsprachigen Nachbarländern durchgeführt habe. Zu denen habe ich öffentlich immer auch Maßnahmenkritiker eingeladen. Denn es ist wichtig, den Dialog über unterschiedliche Positionen zu führen. Dabei wurde meine Überzeugung bestätigt: viele Maßnahmenkritiker waren bei den Lesungen anwesend und brachten sich in konstruktiven Wortmeldungen ein. Bei zwei oder drei Veranstaltungen hingegen sind die Corona-Leugner und -Verharmloser aufgetaucht und haben mit aggressivem Auftreten versuchte, die Veranstaltungen zu sprengen. Zum Gespräch, zum Austausch von Argumenten waren sie nicht bereit oder fähig. Viele Verschwörungstheoretiker verweigern den Dialog und manche agieren - wie ich täglich auf meinen Sozial Media Kanälen erlebe und per Mail erfahren muss, so aggressiv und beleidigend, zum Teil auf drohend, dass die Äußerungen keinen Dialog darstellen, sondern teilweise Fälle für den Staatsanwalt sind. 

Mit dieser Gruppe ist Dialog unmöglich, mit den vielen Maßnahmenkritikern hingegen sehr wohl.

Vor zwei Wochen habe ich in einer Blogserie meine Sicht der Dinge - aus heutiger Sicht - dargelegt. Vielfach sind auf diese Gedanken und Bewertungen konstruktive Antworten gekommen. Und ich nehme nun auch gerne Anfragen für Interviews an, ob ATV, ORF oder - auch wenn es mir wegen ihrer teilweise kontraproduktiven Vorgangsweise in der Pandemie schwerfällt, Servus TV.

Sehr viele Reaktionen sind die Folge. Ganz besonders war dies der Fall, nachdem ich vorgestern im „Journal zu Gast“ war. Eine Lawine an Reaktionen ist darauf per Mail, in den Sozialen Medien, per SMS erfolgt und es hat mich sehr gefreut, dass über 90 Prozent positiv waren. 

Das freut mich sehr und zeigt, dass es in Österreich eine ganz große Mehrheit gibt, die einen konstruktiven  Dialog schätzt.

Eine Hörerin jedoch hat geschrieben, sie wünsche sich von mir präzisere und umfassendere Antworten auf die Kritiken, ich solle meine Kommunikationsabteilung aufstocken und verbessern. Das würde ich ja gerne, aber ich bin ein Ein-Personen-Unternehmen und verfasse jeden Beitrag selbst.

Morgen, Dienstag, bin ich in „Das Gespräch“ im ORF eingeladen, ich freue mich auch darauf.

Gleichzeitig hat die FPÖ - wenig überraschend angekündigt - die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Pandemie zu überlegen. 

Ja, es braucht Aufarbeitung, damit wir bei der nächsten Pandemie besser aufgestellt sind.  Aber würde das durch einen Untersuchungsausschuss erreicht? Würde dieses Ziel im Zentrum stehen? 

Welche Form der Aufarbeitung würde dieses wichtige Ziel am besten erreichen?

Ich habe daher den Vorschlag gemacht, eine europaweite Aufarbeitung durchzuführen, ECDC, die europäische Gesundheitskontrollbehörde zu beauftragen, die Vorgangsweisen der einzelnen Mitgliedsstaaten der EU überprüfen zu lassen und herauszuarbeiten, was erfolgreich war und was nicht. Denn die nächsten Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen noch besser abgestimmt sein, eine Pandemie kann nicht im Alleingang in einem Staat bekämpft werden.

Darauf aufbauend sollten in Österreich Gemeinde-Dialoge unter Einbeziehung aller Gruppen durchgeführt und eine bessere Vorbereitung auf die nächste Pandemie erarbeitet werden. Zum Beispiel ein neues Pandemiegesetz, ausreichend Mitarbeiter:innen in den Gesundheitsbehörden, ein Krisenstab, die Zusammensetzung einer Expertengruppe fixiert und die Vorgangsweise - wie beim Zivilschutz oder bei der Feuerwehr - regelmäßig trainiert werden. Dazu braucht es in Europa die Verwirklichung der Standortveränderung der Produktion von Medikamenten und Schutzkleidung nach Europa, das Errichten eines globalen Frühwarnsystems für virale Ausbrüche und die Vorbereitung einer weltweit gerechten Impfstoffverteilung für den nächsten Ernstfall.

Diese und andere Reformen zu erarbeiten, bedarf eines ernsthaften wissenschaftlichen Aufarbeitungsprozesses als Voraussetzung - durch Wissenschafter, die in der österreichischen Pandemiepolitik nicht beteiligt waren.

Die Alternative dazu ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, den die FPÖ alleine durchsetzen könnte. Natürlich würde ich auch dort aussagen, über die Metaebene, Beweggründe, Entscheidungsfindungen etc -was immer die Abgeordneten interessiert und was ich an Details nach fünf Jahren noch weiß. Aber nach der ab Sommer 2020 erfolgten Parteipolitisierung glaube ich eher daran, dass die FPÖ dieses Gremium zur parteipolitischen Stimmungsmache nützen würde, um ihr Klientel der Corona-Verharmloser weiter zu binden. Denn aus diesem Lager wird die Kritik an der FPÖ, warum sie nicht endlich die Aufklärung umsetze, immer lauter.

Was ist von einem Untersuchungsausschuss daher auch zu erwarten? Noch mehr Spaltung, noch weniger Vertrauen zueinander, noch mehr Beschädigung der Gesundheitskompetenz, noch weniger Einigkeit über die wissenschaftlichen Wahrheit und damit noch eine schlechtere Vorbereitung für das nächste Mal, befürchten viele Beobachter und Experten.

Thema würde sicherlich auch sein, warum meine Vorgängerin von der FPÖ wesentlich mitzuverantworten hat, dass wir in Österreich so besonders schlecht auf eine grenzüberschreitende Gesundheitskrise vorbereitet waren, warum 55 Planstellen im Gesundheitsministerium nicht besetzt waren und Österreich damit stark eingeschränkt handlungsfähig war, warum es keinen effektiven Pandemieplan und kein modernes Pandemiegesetz gegeben hat, als ich das Ministerium übernommen habe und warum die Vorgaben der WHO für grenzüberschreitende Seuchen nicht umgesetzt waren. 

Ein weiteres interessantes Thema könnte sicherlich sein, die Frage zu klären, warum Herbert Kickl von der Sperrspitze für einen Lockdown, den er als erster gefordert hat und dessen Umsetzung er unterstützt hat, innerhalb kürzester Zeit zum Anführer der Maßnahmengegner und Coronaleugner wurde. Da könnte man zum Beispiel der interessanten Frage nachgehen, ob dies parteipolitisch motiviert war, ob es dafür Protokolle der entscheidenden Sitzungen der Leitgremien der FPÖ gab und auch, wie groß der Schaden an der Gesundheit der Bevölkerung durch die Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung insgesamt durch Fehlinformationen durch Corona-Verharmloser war.

Aber ganz klar: auch wir haben Fehler gemacht, auch deshalb, weil wir gleichzeitig die Eigenschaften des Virus lernen, die fehlende Vorbereitung reparieren und in gemeinsamen Beschlossen in der Koalition rasch Maßnahmen verwirklichen mussten. 

Der größte Fehler war die schlechte Vorbereitung.

All das sind interessante Fragen, aber Themen, die sich in gegenseitigen politischen Schuldzuweisungen verlaufen könnten, und nicht vor allem nach vorne schauen, nicht das Lernen für eine bessere Vorbereitung und Vorgangsweise bei der nächsten Pandemie zentral im Fokus haben könnten.

Aber genau diese Vorbereitung für die Zukunft ist derzeit das Wichtigste. Denn trotz einiger Verbesserungen im Detail wäre Österreich derzeit nicht besser, sondern zumindest genauso schlecht vorbereitet auf eine nächste Pandemie. Denn wichtige Faktoren wie Gesundheitskompetenz, Vertrauen zueinander und Impfbereitschaft haben sich noch deutlich verschlechtert. All das würde dazu führen, dass wir vermutlich eine ähnliche gesellschaftliche Leistung wie beim ersten Lockdown nicht mehr schaffen würden. Und damit weniger Menschenleben retten könnten.

Was also können wir tun, um dies rasch zu verändern? Ich bin überzeugt, dass es dafür die europaweite wissenschaftliche Aufarbeitung zur Versachlichung braucht und anschließend den intensiven Dialog über die Ergebnisse und die entsprechenden politischen Reformen: durch ein neues Pandemiegesetz, durch ausreichend Personal bei den Gesundheitsbehörden, durch gezielten Aufbau der Gesundheitskompetenz, durch den Wiederaufbau von Vertrauen in die Impfung, durch den Aufbau von Vertrauen in den anderen.

Denn nur wer überzeugt ist, dass auch der gegenüber sitzende Fahrgast in der Bahn vorsichtig und verantwortungsvoll handelt, wird das auch selbst machen, nur dann entsteht die Solidarität zueinander, die uns genau vor einem Jahr so stark gemacht hat, dass viele Menschenleben gerettet wurden und die schlimmen Prognosen nicht eingetreten sind. Noch mehr Spaltung würde zum Gegenteil führen.

Das Parlament entscheidet. Natürlich werde ich mich bei beiden Varianten bestmöglich einbringen und versuchen meinen Beitrag zu leisten.



Beliebte Posts aus diesem Blog

Meine Schlüsse aus den RKI-Files

Juniors Welt

Ist der Junior krank?