Meine Schlüsse aus den RKI-Files

Vergangenen Dienstag Nachmittag erhielt ich eine Einladung des ORF in das Studio der ZIB2. Ob ich bereit wäre für ein Interview? Natürlich, ich habe mich nie vor Interviews beim Öffentlich Rechtlichen gedrückt. Worum es gehe, war meine Frage. Um die Protokolle des RKI, die Antwort.

Also habe ich mich in der verbleibenden Zeit kundig gemacht und bin anschließend in das ZIB-Studio gewandert. 

Seit dem Interview gab es eine Lawine an direkten Reaktionen, weit über Tausend in den sogenannten Sozialen Medien, per Mail, WhatsApp und SMS, sehr viele auch direkt auf der Strasse, im Café oder in der Straßenbahn.

Geschätzte drei Viertel dieser Reaktionen waren positiv, sie bedanken sich für Sachlichkeit und Klarheit. Einige kritisierten - aus meiner Sicht zurecht -, dass ich im Interview nicht herausgearbeitet habe, dass die Pandemie nicht vorbei ist und Prävention aktuell wichtig sei. Viel Kritik kam hingegen von der Seite der Maßnahmengegner (keine einzige Reaktion darunter direkt auf der Straße), die sich von den geleakten RKI-Prokollen in ihrer bisherigen Positionen (Ablehnung der Impfung, Kritik an den Maßnahmen) bestärkt sieht.

Was ist dazu aus meiner Sicht zu sagen:

1.Ich begrüße es sehr, dass diese Protokolle nun öffentlich sind, diese Transparenz sollte generell Kultur sein (die Protokolle der Expertenkommission des Gesundheitsministeriums wurden bereits 2020 veröffentlicht).

2.Der monatelang kommunizierte Vorwurf der Corona-Kritiker/Leugner (das sind zwei unterschiedliche Gruppen), dass von der Politik eine Erhöhung der Risikobewertung initiiert wurde, ist widerlegt. Das beruhigt mich, weil die Risikobewertungen des RKI bei Entscheidungen über Maßnahmen in den Jahren 2020/2021 für uns wichtig waren.

3.In den RKI-Prokollen finden sich eine klare Unterstützung vieler zentraler Corona-Massnahmen wie auch der Impfung als eine der wirksamsten Maßnahmen. Es wird in den Protokollen auch Kritik geübt an der zu geringen Impfquote.

4.Und schließlich findet sich Kritik an der unrichtigen Formulierung einer „Pandemie der Ungeimpften“, wie sie vom damaligen deutschen Gesundheitsminister, von Ministerpräsident Söder, aber auch vom damaligen Bundeskanzler Kurz verwendet worden war. Diese Formulierung wurde übrigens bereits zum damaligen Zeitpunkt (Herbst 2021) öffentlich von Experten wie Christian Drosten widerlegt. Nur zur Erinnerung: ich war zu diesem Zeitpunkt schon seit Monaten nicht mehr Gesundheitsminister.

5.Die Intensität dieser Kritik - und teilweise ihre Aggressivität - zeigt mir, dass sich eine Parallelmeinung bei Covid weiter ausbreitet und verschärft, die durch jede Diskussion wie etwa der aktuellen, weiter verstärkt wird. Gräben haben sich weiter vertieft, die Spaltung wurde größer, der Ton der Auseinandersetzung teilweise noch aggressiver. Mein Eindruck ist, das wurde in den vergangenen drei Jahren, seitdem ich die Debatte mehr oder weniger von Außen betrachte, schlimmer.

6.Ich halte es daher für falsch, dass die Debatte seit vielen Monaten auf allen Ebenen weitgehend den Covid-Leugnern und Impfgegnern überlassen wird und teilweise auf Aufklärung verzichtet wird - sowohl bzgl Prävention, der aktuellen Lage, den Spätfolgen und auch den Realitäten der Pandemiejahre. Dieser teilweise Rückzug der Aufgeklärten aus der Debatte überlässt sie jenen, die hetzen, die verführen oder selbst manipuliert sind und jenen in der Politik, die daraus im Herbst profitieren wollen. Zerrbilder, Stimmungsmache, enorme Emotionalität, Wahltaktik kann sich so beinahe ungehindert ausbreiten. 

7.Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass in der Pandemie vieles richtig gemacht, aber in allen Ländern auch Fehler gemacht wurden (die oben angeführte falsche Kommunikation einer „Pandemie der Ungeimpften“ zählt dazu). Aus diesen Fehlern muss die Politik, die Gesundheitsverwaltung, müssen Medien und Zivilgesellschaft lernen, um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein. Siehe dazu auch mein Buch „Pandemia“.

8.Es ist daher höchste Zeit, diese schwierige Zeit sachlich aufzuarbeiten. Der Auftrag an die Akademie der Wissenschaften war ein guter erster Schritt, der aber nicht ausreicht. Diese Debatte über Aufarbeitung wird in fast allen Mitgliedsstaaten der EU geführt. Es liegt daher nahe, die Weichen für eine europaweite Aufarbeitung zu stellen, die analysiert, wie welche Länder reagiert haben, was richtig gemacht wurde, welche Fehler und wie wir uns für eine nächste Pandemie besser vorbereiten und aufstellen können. Dafür braucht es eine Initiative bei ECDC, dem Europäischen Zentrum für Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, die Maßnahmen aller Nationalstaaten zu analysieren und aufzuarbeiten, und Empfehlungen für eine verbesserte Vorbereitung für eine nächste Pandemie zu geben. Auf dieser Basis müssen auf nationaler Ebene Konsequenzen gezogen werden (in Österreich etwa durch ein neues Pandemiegesetz) und die europaweiten und globalen Koordinationsmöglichkeiten gestärkt werden (EU-Kompetenzen bei schweren grenzüberschreitenden Gesundheitskrisen, Frühwarnsystem im Weltpandemievertrag, Sicherstellung einer besseren Verteilung von Impfstoffen ua).

9.Zu den notwendigen Konsequenzen aus der Pandemie gehört aber auch mehr Information über notwendige Prävention und eine viel bessere Versorgung jener, die an Folgen der Pandemie bis heute leiden (Long-Covid, das verstärkte Auftreten von ME-CFS ua)

10.Wir müssen die Lehren aus der Pandemie ziehen. Das ist kein Appell an DIE Politik, sondern an alle Teile der Gesellschaft. Tun wir das nicht, wird es beim nächsten Mal aufgrund der vorhandenen Spaltung und Verunsicherung der Bevölkerung noch viel schwieriger, uns gemeinsam vor den Auswirkungen viraler Ausbrüche zu schützen.



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