Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie: Folge3 - der Herbst 2020, die schwierigste Phase der Pandemie in Österreich

 Nach den Erfolgen der Pandemiebekämpfung während der ersten Welle durch einen großartigen Zusammenhalt in der Bevölkerung, einem solidarischen Miteinander im Land, das von allen Parteien, Vereinen, Religionsgemeinschaften, etwa auch der Zivilgesellschaft mit hunderten neuen Nachbarschaftsinitiativen getragen wurde, wurde es ab dem Sommer 2020 zunehmend schwierig. 

Die Stimmung begann zu kippen. Klarer Weise dauerte die Pandemie vielen Menschen bereits zu lange, viele sehnten sich nach Normalität, nach einem Sommer wie früher und manche Interessen verschiedenster Gruppen wurden plötzlich nicht mehr im Interesse der gesamten Gesellschaft zurückgestellt, sondern immer stärker artikuliert.

Der Druck aus allen Richtungen nahm zu. Und gleichzeitig war die Pandemie nicht vorbei. Wir hatten noch keine Impfung, noch keine wirksamen Medikamente und mussten laufend neue Varianten befürchten. Wir entwickelten neue Formen der Kommunikation: eine wöchentliche Sprechstunde auf YouTube und Facebook, die von Zigtausenden gesehen wurde und laufend die wichtigsten Fragen der Pandemie gemeinsam mit Experten beantwortete. Dennoch konnten wir die Trendwende in Bevölkerung und Politik nicht stoppen.

Mir war klar, sobald die Einigkeit endet, sobald es Ausnahmen für verschiedene Gruppen gab, sobald die Solidarität erschüttert war, wurde es wirklich schwierig. Wirtschaftsgruppen wollten Ausnahmen, manche Landeshauptleute unterstützen sie dabei und auch die zuvor so einigen Parteien entwickelten teilweise unterschiedliche Interessen. Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung hatte nun nicht mehr die alleinige Priorität.

Immer stärker wurden Parteieninteressen sichtbar. Ganz offensichtlich bei der FPÖ, die sich, wie viele Beobachter meinen, offensichtlich dafür entschieden hatte, die Emotionalisierung eines Teils der Bevölkerung gegen die Pandemiebekämpfung parteipolitisch zu nützen - und damit bedeutend zu verstärken. Denn plötzlich waren die Maßnahmen keine gemeinsame Position mehr, sondern Streitpunkt. Das verunsicherte viele, die Gesellschaft triftete auseinander. Das ist die historische Verantwortung jener, die Parteipolitik über die Pandemiebekämpfung stellten.

Dazu kam das Pandemieparadoxon: gerade in der Situation, in der großeTeile der Bevölkerung verständlicher Weise  immer mehr Sehnsucht nach einem Ende des Problems entwickelten, waren offensichtlich die schlimmsten Prognosen nicht Wirklichkeit geworden, weil wir gemeinsam erfolgreich waren. Übrig blieb für viele Menschen, dass es scheinbar nicht so schlimm war.

Und drittens wurden die wüstesten Verschwörungsthesen immer lauter. Was entgegnet man Menschen, die völlig absurde Behauptungen aufstellen, wonach die Pandemie eine Plandemie gewesen sei, um eine Diktatur zu verwirklichen, wonach aber auch Bill Gates durch Impfungen und Testungen uns allen Chips implantiert hatte, um uns per Fernsteuerung beherrschen zu können.

Ich dachte oft, diese Unsinnigkeiten sind so unglaublich, dass man sich darauf gar nicht einlassen durfte. Andererseits meinten mittlerweile europaweit in Umfragen 20 Prozent, dass die Behauptungen den Tatsachen entsprechen würden.

Und schließlich wollten verschiedene Interessensgruppen Ausnahmen aus den Regeln - zuallererst der Wintersport. Nicht nur ein Landespolitiker versuchte mir zu erklären, dass Schifahren im Land x einfach eine elementare Notwendigkeit sei, ohne die die Bevölkerung nicht leben konnte. Die Mehrheiten standen gegen meine Position, die einzige Möglichkeit waren Kompromisse. Und in diesen Kompromissen bedienten sich nicht wenige den Umgehungsmöglichkeiten. Was wäre die Alternative gewesen? Ich brauchte die Unterstützung aller bei der Umsetzung der Maßnahmen, die sonst leeres Recht zu werden drohten.

All das führte dazu, dass über den Sommer schrittweise die Verunsicherung wuchs und im Herbst, als die Infektionszahlen wieder stiegen, wir zu langsam waren bei der Umsetzung der Gegenmaßnahmen. Wir versuchten die Öffentlichkeit wach zu rütteln, darauf hinzuweisen, dass nun die Wochen „entscheidend“ wären, weil eine Fortsetzung der steigenden Werte wieder zu exponentiellen Steigerungen führen würden.

Und so geschah es. Ich konnte in der Regierung den von mir angestrebten Automatismus der Corona-Ampel (automatisch verankerte Massnahmen in der jeweiligen Region bei Überschreitung bestimmter Infektionszahlen, für die keine politischen Beschlüsse mehr notwendig waren - also die Entpolitisierung der Corona-Politik) nicht durchsetzen, manche wollten die Entscheidungskompetenz der Politik nicht aufgeben.

Als wir Anfang November einen Lockdown diskutierten, war lediglich ein „Lockdown light“ möglicher Kompromiss in der Regierung, es wäre mehr notwendig gewesen, um den Trend stark steigender Infektionszahlen früh zu brechen.

Erst als die Zahlen weiter stiegen und mit mir die Intensivmediziner dringend schärfere Maßnahmen einforderten, wurden diese auch beschlossen.

Doch das war sehr spät und aufgrund der Verunsicherung durch Pandemieparadoxon und Verparteipolitisierung und Einzelinteressen verschiedener Wirtschaftsgruppen wurden die Maßnahmen nicht mehr in der Geschlossenheit und Intensität wie im Frühling 2020 umgesetzt und gelebt.

Die Werte blieben daher hoch, wie in den Nachbarländern starben auch in Österreich viele Menschen. Immerhin konnten wir den absoluten Worst Case, die völlige Überlastung der Intensivstationen und umfangreiche Triagen, vermeiden. Dafür leisteten viele, ganz besonders aber die Mediziner:innen und Pfleger:innen großartige Arbeit. Viele gingen bis an ihre Grenzen, manche überschritten sie. Auch dieser großartige Einsatz war gelebte Solidarität für die Patientinnen und Patienten.

War der Frühling 2020 aufgrund der Geschlossenheit und der Solidarität die beste Phase der österreichischen Pandemiebekämpfung, so zeigte die zweiten Welle, die übrigens auch viele andere europäische Länder so wie Deutschland und die Schweiz ähnlich hart traf und durch neue Varianten noch problematischer geworden war, unsere Schwächen.

Dadurch würde der Lockdown länger andauern und weniger erfolgreich sein. Wir hätten in dieser Phase dieselbe Geschlossenheit und Konsequenz gebraucht wie im Frühling gegen die erste Welle.

Die Bekämpfung von Welle 1 und Welle 2 zeigten, was bei einer aktiven Pandemiepolitik entscheidend war: Einigkeit statt Eigeninteressen, die Lösung der Notlage anstatt der Durchsetzung individueller Interessen von politischen und wirtschaftlichen Gruppen, eine klare gesellschaftliche und politische Priorität für den Gesundheitsschutz.

Das ist in Wirklichkeit der größte Lerneffekt aus der Pandemie: wir sind dann stark, wenn wir gemeinsam handeln und uns gegenseitig unterstützen und es uns gelingt, für eine bestimmte Zeit die Eigeninteressen hinter die Interessen der Gemeinschaft zu stellen. Denn die Art der Maßnahmen ist wichtig, aber zumindest genau wichtig ist die Einigkeit beim Beschluss, die Einigkeit bei der Umsetzung der Maßnahmen, durch Präventionsparadoxon, Verparteipolitisierung und Verschwörungsmythen wurden die Maßnahmen zumindest in nicht unwesentlichenTeilen der Gesellschaft zum toten Recht. 

Wir hatten unseren Trumpf, Solidarität und Zusammenhalt, zum Teil verloren.

Nächste Folge: die Impfung beginnt

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