Der schwarze Wahlsonntag - nicht resignieren, sondern aus den Ursachen lernen

 Es kam nicht überraschend und doch hatten viele gehofft, es würde nicht so verheerend wie in den Umfragen prognostiziert. Weit gefehlt, in vielen Details kam es noch dramatischer als befürchtet. Und könnte diese Republik nachhaltig beschädigen, wenn von den konstruktiven Kräften jetzt nicht sehr verantwortungsvoll gehandelt werden.

Ja, es ist Demokratie, dass die FPÖ die Unzufriedenen eingesammelt und ihren bisher größten Erfolg erzielt hat. Er wirkt noch größer, da auch die schweren Verluste aus der Nationalratswahl 2019 kompensiert wurden. Aber es ist auch Demokratie, falls sich nun eine Mehrheit für eine Koalition ohne FPÖ bilden würde, der Großteil der Wähler:innen hat eben nicht blau gewählt und Nationalratswahlen sind keine Direktwahlen des Kanzlers. Die FPÖ versucht nun bereits Stimmung zu machen, dies sei ein Bruch der Demokratie, die versteckte Fortsetzung der Allianz der bösen Eliten etc. Das sollten wir nicht zulassen und darauf verweisen, welchen Pakt Schüssel und Haider 1999 als Zweite und Dritte gegen die erstplatzierte SPÖ verwirklicht hatten. Es ist also weder neu noch ein Verstoß gegen die Verfassung - ganz im Gegenteil.

Aber das Wahlergebnis vom Sonntag verändert Österreich und sorgt dafür, dass eine in Teilen rechtsextreme Partei die Bundespolitik dominieren könnte. Eine weitgehend unbeachtete Entwicklung zeigte bereits vor der Wahl, wie dies nach diesem Erdrutschsieg funktionieren könnte: der rechtsextreme Sender AUF wird nun zur Berichterstattung aus dem Parlament zugelassen - so als wäre er wie alle anderen.

Für das Wahlergebnis gibt es konkrete Ursachen und die Chance liegt darin, diese Ursachen zu erkennen und die Konsequenzen zu ziehen. Ob dies gelingt, werden bereits die Regierungsverhandlungen der nächsten Wochen und Monate zeigen. 

Aufgeben jedenfalls ist keine Alternative. 

Eine von etlichen Ursachen für diesen Erdrutscherfolg von Rechtsaußen liegt in der Entwicklung der ÖVP in den letzten Jahren. Seit einigen Jahren glaubt sie, durch ein Wiederholen der Parolen der Rechten die Wählerabwanderungen zu vermeiden. Damit verstärkt sie jedoch die Themen der FPÖ und enttabuisiert sie. Gewählt wird jedoch dennoch oder erst recht der Schmied und nicht der Schmiedl. Rechte Themen dominieren so seit Jahren die innenpolitische Berichterstattung, der Wahlkampf wurde zu einem Heimspiel der FPÖ. Die Koalitionen der ÖVP auf Landesebene mit den Freiheitlichen, in Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg verstärkten diesen Effekt: die Freiheitlichen erhalten eine Bühne, werden enttabuisiert. Das alles hat dazu beigetragen, dass im schwarzen Kernland Oberösterreich die FPÖ nun klar die Nummer 1 ist, die ÖVP in Niederösterreich besonders dramatische Verluste erlitt. Beginnen in der ÖVP nun endlich Zweifel an dieser Strategie?

Es braucht für eine starke Demokratie auch eine starke konservative Partei. Doch der ÖVP sind seit Jahren, vor allem seit der Ära Kurz, immer mehr die eigenen Inhalte abhanden gekommen - und auch der politische Nachwuchs. Das ist vielfach spürbar und führt zu oben angeführten panikartigen Reaktionen anstatt einer offensiven, selbstbewussten Vorgangsweise mit eigenen Themen. Eine Entwicklung, die leider europaweit in die falsche Richtung führt. Wo konservative Parteien ihre Rolle verlieren und in Panik rechte Phrasen übernehmen, entstehen rechte Mehrheiten.

Eine zweite Ursache für den schwarzen Wahlsonntag mit einzelnen noch dramatischeren Ergebnissen (FPÖ-Wähleranteil unter Arbeitern bei 50 Prozent) ist die immer negativere Grundstimmung in Österreich, der Verlust des Vertrauens in die Institutionen. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass die Dinge in den letzten Jahren schlechter wurden, viele leben im Generalverdacht gegenüber Institutionen und Mächtigen. Die Aneinanderreihung schwerer Krisen, die wolkige Wirtschaftsentwicklung der letzten Wochen und die vielen Veränderungsnotwendigkeiten haben diese Stimmung verstärkt. Die Stimmung ist viel schlechter als die Realität. Je schlechter aber die Stimmung, desto besser die Wahlerfolge für rechte Populisten. Diese Stimmung wurde wesentlich von der FPÖ selbst und ihrem medialen Netzwerk produziert, aber auch von vielen anderen verstärkt. Vertrauensbildung auf Basis konkreter Verbesserungen, eine differenziertere, positive Kommunikation und Kritik wird daher ein zentraler Teil einer politischen Wende weg von der extremen Rechten sein müssen.

Es braucht in Österreich endlich einen breiten Diskurs über ein positives Zukunftsbild. Wo kann und soll dieses Land in 10 Jahren stehen, wie kann ein gutes Leben für möglichst viele Menschen aussehen, was braucht es dafür an politischen Weichenstellungen. Verschiebt sich der Diskurs in Richtung einer positiven Zukunftsdebatte, entsteht Hoffnung und Mut. Und die sind die Voraussetzung für das Handeln. 


3.Viele Medien sind in der Krise, gezielte Desinformation überschwemmen das Land: die FPÖ hat sich in den letzten Jahren ein starkes Netzwerk ihr nahestehender bzw eigener Medien geschaffen, mit dem sie unabhängig von klassischen Medien Verunsicherung transportieren kann. Die Krise etablierter Medien erleichtert dies. Und die dramatische Wirkung sogenannter Sozialer Medien heizt die Stimmung weiter an. Gar nicht mehr subtil wird darüber hinaus von einigen neuen klassischen Medien diese Stimmung verstärkt, wie eine aktuelle, lesenswerte Analyse des Momentum-Instituts zeigt. Hier wurde einen Monat lang die Berichterstattung von ORF und Servus TV verglichen - mit bemerkenswerten Unterschieden. Aufgeklärte werden sich gut überlegen müssen, ob sie durch ihre Teilnahme an einzelnen Sendungen nicht als Feigenblätter dienen. Und es braucht eine Totalreform der Presseförderung hin zur Qualität, zur Vielfalt und zur Medienkompetenz. Angesichts des Geldregens für die FPÖ und ihre Medien und den Risken der KI ist es unabdingbar, diese Schwäche der bisherigen Bundesregierung zu korrigieren.

4.Die Erfolglosigkeit des aufgeklärten Österreichs, für eine fortschrittliche Mehrheit im Land zu arbeiten. Andreas Babler schaffte eine neue, kämpferische Stimmung bei einem Teil der Sympathisanten der SPÖ, es gelang ihm jedoch absolut nicht, Wähler von der FPÖ und aus dem Bereich der Nichtwähler FPÖ zu verhindern (als Beispiel kann das Wahlergebnis von Steyr dienen). Angesichts des neuen, stark an den Interessen von Großkonzernen ausgerichteten Wirtschaftsprogramms der FPÖ wäre dies möglich gewesen. Aber hier fehlte es nicht nur an der Zeit, sondern auch an der Rhetorik und den geeigneten kommunikativen Zugängen. Erfolgreich war die SPÖ hingegen beim Rückholen von Wähler:innen von den Grünen - etwa in Wien. Doch damit verschieben sich keine Mehrheiten, sondern werden potentielle Partner geschwächt. Insgesamt ist der Mandatsanteil linker Parteien schwächer als in den letzten Jahrzehnten davor. Das ist strategisches Versagen. Solange es der SPÖ nicht gelingt, Arbeiter:innen und Enttäuschte von der FPÖ und aus dem Lager der Nichtwähler:innen zurückzuholen, wird es in Österreich keine aufgeklärten Mehrheiten geben.

5.Die Grünen wurden aus unterschiedlichen Gründen stark geschwächt. Aufgrund der starken inhaltlichen Erfolge in der Regierungsarbeit kann dies als ungerecht bezeichnet werden, erklärbar wird es durch die Schwächen im Bereich der (strategischen) Kommunikation. Und genau darüber muss die Partei nun selbstkritisch reden.

6.Das Phänomen des Bruchs zwischen Stadt und Land, den wir nach den USA, Großbritannien und Deutschland nun auch in Österreich erleben. Laurenz Ennser-Jedenastik weist darauf hin, dass  ländliche Regionen von massiven ÖVP-Verlusten und starken FPÖ-Gewinnen sowie leichten Verluste für Grünen geprägt waren, in den größeren Städten jedoch leichte ÖVP-Verluste und FPÖ-Gewinne,  sowie deutliche SPÖ-Gewinne und massive Verluste der Grünen auffallend waren. Wie kommt es zu diesem Bruch zwischen Stadt und Land, wie kann ihm begegnet werden?

7.Zurück zur Dominanz rechter Inhalte. Nicht neu ist das Phänomen, dass in Gemeinden weitgehend ohne Migranten das Thema Migration am Stärksten und die Gewinne der FPÖ am Größten sind. Umgekehrt verhält es sich beim Klimaschutz, auf den die Grünen in diesem Wahlkampf hauptsächlich gesetzt hatten. Je dramatischer die Entwicklung wird, je alarmierender die Prognosen werden, desto weniger dominant ist das Thema im Ranking der wichtigsten Themen. Nicht einmal die für viele Betroffenen so verheerende Hochwasserkatastrophe kurz vor dem Wahlgang veränderte die politische Grundstimmung, nicht einmal in den hauptbetroffenen Gemeinden.

Ich setze mich seit Monaten mit diesem Phänomen auseinander und es scheint mir eine Mischung aus Resignation, Verdrängung und Verleugnung zu sein - gepaart mit einer Ohnmacht, diese größte Krise lösen zu können. Hier werden nur viele Beispiele von erfolgreich umgesetzter Klimawende mit positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich zu den harten Fakten eine Veränderung bringen, nur Hoffnung und Ermutigung führt zum Handeln.

Einer meiner Schlüsse ist daher für das entscheidende Thema der nächsten Jahre, dass es kein Thema einer einzigen Partei sein kann, sondern dass die Klimaschutzbewegung sehr breit werden muss - von Gemeinden bis zu Gewerkschaften, Teilen der Wirtschaft bis hin zu mehreren Parteien braucht es eine breite Allianz, die zeigt, dass politisches Handeln in einer Notlage anders funktionieren muss und kann.

Aber natürlich benötigt es dafür eine politische Kraft, die der besondere Antreiber ist - auch deshalb braucht es starke Grüne.

Was sollte also in den nächsten Monaten passieren? Es braucht eine stabile Regierung jenseits der FPÖ mit Absprachen für wichtige Zwei-Drittel-Materien.

Es braucht eine neue politische Kultur im Diskurs. Gezielte Problemlösungen, auf deren Ebene Vertrauen und Stimmung wieder verbessert werden. Das ist machbar, wenn es dafür einen Konsens der meisten politischen Kräfte gibt. Nicht jede Provokation der FPÖ muss beantwortet werden, die eigenen Themen müssen ins Zentrum gerückt werden. Und es braucht neue demokratische Instrumente wie verstärkte Büreger:innenräte.

Die Klimawende sollte in diesem Sinn der Pilot für eine breite Kraftanstrengung sein. Alle wissen jenseits der Wahlkampftöne, was zu tun ist, alle Technologien sind vorhanden und Österreich kann vielfach profitieren, wenn die politischen Parteien sich nicht gegenseitig blockieren, sondern das Notwendige tun.


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