Nach den Europawahlen braucht es einen europaweiten Strategiewechsel in der Klimapolitik

Auf den ersten Blick ist es völlig irrational: während sich die Klimakrise zuspitzt, in den Ländern des Südens immer dramatischer und auch bei uns gerade in den Wochen vor den Europawahlen durch Hochwasser wieder sichtbar wurde, die globalen Monatstemperaturen zum zwölften Mail in Serie einen Rekordwert zeigen und die Warnungen und Prognosen der Klimawissenschaft immer alarmierender werden, gewinnen die Klimaleugner die Europawahlen, die Klimaschützer:innen verlieren fast in ganz Europa.

Bernd Ulrich schrieb auf Zeit Online bereits kurz vor der EP-Wahl zum Rollback des Klimaschutzes:“Ehe wir untergehen, drehen wir durch“ 

Aber ich glaube nicht, dass es so einfach ist (sieht ja auch Ulrich differenzierter).

Die Weltklimaberichte sind wichtig, haben aber den Nachteil, dass sie Zusammenfassungen bestehender Studien darstellen und damit einen deutlichen zeitlichen Verzug beinhalten. Die in der Klimaberichterstattung führende britische Zeitung „The Guardian“ hat deshalb 380 renommierte Wissenschaftler:innen befragt: nur mehr 6% glauben daran, dass das Pariser Klimaziel von nicht mehr als 1,5 Grad Temperaturerhöhung erreicht werden kann, über 70 Prozent gehen von einem Temperaturanstieg um mehr als 2,5 Grad aus, mehr als 40 Prozent sogar von mehr als 3 Grad bis Ende des Jahrhunderts. Das wäre eine Welt, die es seit 5 Millionen Jahren nicht gab, damit könnten zwei Milliarden Menschen einen guten Lebensraum verlieren.

Die Wissenschaft sagt uns sehr klar und deutlich, dass es noch nicht zu spät ist, aber die Klimawende in diesem Jahrzehnt umgesetzt werden muss. 

Dadurch waren die Europawahlen diesmal besonders bedeutsam - aber überraschenderweise wurde der Klimaschutz nicht zum dominanten Thema des Wahlkampfes,  die engagiertesten Klimaschutzparteien, meist die Grünen, verloren vielfach stark an Stimmen  - keine nationalen Ausreißer, sondern ein Trend.

Warum? Wie ist das erklärbar? Wie entstand diese paradoxe Entwicklung? Warum werden seit einigen Monaten sogar bereits erzielte Erfolge (siehe Renaturierung) wieder in Frage gestellt und bekämpft, warum scheint ein Grundkonsens zu zerbrechen? Ist es Ignoranz, Desinteresse, Verdrängung oder eigene Schwäche? Natürlich sind die Ursachen unterschiedlich, aber einiges ähnelt sich in ganz Europa.

Die Analyse zeigt, dass etwa die deutschen Grünen - und etliche andere Grüne ganz ähnlich - stark an das Lager der Nichtwähler:innen und in zweiter Linie an diverse Kleinparteien verloren haben. Besonders bedenklich auch die Tatsache, dass die Grünen in vielen Nationalstaaten vor allem bei den Jungwähler:innen viel weniger punkten konnten als zuletzt, teilweise erdrutschartig Unterstützung verloren.

Im Gegensatz zu 2019 ist es diesmal nicht gelungen, die Europawahlen zu Klimawahlen zu machen, unsere entscheidende Zukunftsfrage in den Mittelpunkt des Wahlkampfes zu rücken. Migration und Sicherheit rangierten im Themen-Ranking weit vor der Klimakrise (als ob Sicherheit kein Klimathema wäre). Die Klimakrise hatte diesmal deutlich weniger Einfluss auf das Wahlergebnis. Das lag stark an der gestiegenen Radikalität der Rechtsextremen, vor allem aber auch daran, dass die meisten konservativen Parteien Europas den Extremisten in die Falle gehen und durch das Kopieren deren Themen erst so richtig salonfähig gemacht und aufgewertet haben. Wer rechts kopiert, erntet rechte Wahlsiege. Konservative lassen sich von denen treiben, die die Klimakrise nicht lösen, weil sie von den Problemen, der Angst, der wachsenden Unsicherheit profitieren.

Aber es müssen sich auch Grüne und Klimaschutzbewegung fragen, warum sie das nicht ändern konnten. Noch dazu in Tagen von Hochwasserkatastrophen in verschiedenen Regionen Europas. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass Grüne immer wieder stark auf die Provokationen der Rechten reagieren und diese damit noch dominanter im Wahlkampf machten, anstatt selbstbewusst das eigene Kernthema zu forcieren.

Es ist aber mehr.

Meine These, die auch schon zu meinem Buch „Wie wir uns die Zukunft zurück holen“ geführt hat, ist, dass wir große Teile der Bevökerung nicht mehr erreichen, weil viele zwar wissen, wie dramatisch die Lage ist, aber wenig Chance sehen, die notwendige Veränderung auch tatsächlich zu erreichen, und viele auch Angst vor der Veränderung haben, da sie nicht wissen, was die Klimawende für sie im Detail bringen wird. Das Credo von Verzicht und Verboten, von den Gegnern jahrelang kommuniziert, ist wenig attraktiv. Das konnte nur greifen, weil wir es bisher nicht ausreichend geschafft haben, die Klimawende als faszinierendes Zukunftsprojekt, als Chance für mehr Lebensqualität zu positionieren, eine attraktive Zukunftserzählung zu entwerfen. 

Viele sind zerrissen von der Sorge um die Zukunft und der Sorge um ihren eigenen Wohlstand. Und Teile der Politik spielen mit dieser Unsicherheit. Daher dominiert bei immer mehr Menschen Angst, Verdrängung, Resigation, und Verleugnung. Und es ist immer so: wenn Angst und Resignation die Emotionen dominieren, wird nicht gehandelt, sondern verdrängt, es sind die Zeiten des Übergangs vom Alten in das noch nicht verankerte Neue, in denen die Krisen sich multiplizieren und die Rechten ihre Stimmen maximieren.

Viele Studien zeigen, dass die Angst auch viele Jugendliche ergriffen hat. Denen vermitteln auch wir Klimaschützer und Grüne viel zuwenig Hoffnung und Perspektive. Und Mitmachmöglichkeit. 

Das muss ein Weckruf für die Klimapolitik sein, das müssen und können wir besser machen. Wir können die Vorteile der Klimawende, den Nutzen herausarbeiten, wir müssen die verheerenden Prognosen transportieren, das Drohende in voller Schärfe kommunizieren, sichtbar machen, wie verheerend sich die Klimakrise bereits in vielen Ländern vor allem des Südens auswirkt, aber gleichzeitig auch die vielen Lösungsschritte erzählen, die auf regionaler Ebene bereits funktionieren und die Lebensqualität  der meisten Betroffenen wesentlich verbessern - von Paris, das gerade zur grünen Großstadt umgebaut wird bis zur Fahrradmetropole Utrecht in den Niederlanden und den tausenden Erfolgen der Energiewende. 

Die Energiewende ist voll in Umsetzung, die neu installierten Kraftwerkskapazitäten waren im Vorjahr bereits zu 87 Prozent erneuerbar, die Wende ist in Australien, China, den USA in voller Geschwindigkeit in Umsetzung, auch in Europa und in Österreich selbst gelingt dies nach Verzögerungen jetzt sehr gut. Weltweit konnten die Erneuerbaren im Vorjahr um fast 50 Prozent ausgebaut werden. Das ist faszinierend, das müssen wir bekannt machen, das müssen wir trommeln, weil es ermutigt und Hoffnung gibt.

Da passiert vielfach Sensationelles - aber viele Medien berichten nicht und wir reden zuwenig darüber. Wir müssen in einem attraktiven, positiven und emotionalen Zukunftsbild sichtbar und spürbar machen, was kommt, wenn die Klimawende kommt. Es braucht ein Narrativ, eine klare Utopie, die sich alle gut vorstellen können und die zeigt, dass eben dann nicht Verzicht und Verbote kommen, sondern mehr Lebensqualität und Gerechtigkeit.

Wir brauchen also eine neue Strategie, eine positive Fortschrittserzählung, die die Dramatik, aber auch die Hoffnung beinhaltet und Mut macht. Die ein positives Zukunftsbild entwirft und damit die Unsicherheit vor dem Neuen verringert. Das kann motivieren, das kann Handlung bewirken, das kann politischen Druck erzeugen.

Diese Strategiewende würde spät kommen, aber nicht zu spät.

Denn die Verschiebungen im EP nach den gestrigen Wahlen sind unangenehm und unverständlich, aber sie werden die Klimawende nicht stoppen. Denn etliche der grundsätzlichen Weichenstellungen sind bereits beschlossen. Die Energiewende ist so weit fortgeschritten, dass sie nicht mehr zu stoppen sein wird. Sie hat den Kipppunkt erreicht. Und es gibt nach wie vor eine Mehrheit der konstruktiven Kräfte im EP. Jetzt ist wichtig, dass die starken EU-Staaten Deutschland und Frankreich politisch nicht kippen. Denn das wäre so richtig gefährlich für die Klimawende.

Die Grünen im EP müssen jetzt den Mut haben, sehr offensiv in die Verhandlungen um die Besetzung der Kommissionsspitze zu gehen. Es ist gut, dass diese Bereitschaft bereits kurz nach der Wahl kommuniziert wurde. Aber sie muss offensiv und konkret werden. Es braucht klar definierte Voraussetzungen in Form der Umsetzung der wichtigsten nächsten Schritte der Klimawende als Voraussetzung für einen Einstieg in eine EP-Koalition. Und es braucht ein konkretes Bild von der Zukunft Europas, wie wir es bis zum Ende dieser Legislaturperiode im Jahr 2030 erreichen wollen. Klare Bilder, die verständlich sind, die begeistern, die Sicherheit schaffen, die belegen, dass die Klimawende ein Nutzen für einen Großteil der Bevölkerung ist. Und die die Klimawende intensiv mit Gerechtigkeit verbinden und damit Sicherheit für alle Betroffenen schaffen.

Ähnliches gilt für die Klimaschutzbewegung. Die Lehre aus den Europawahlen muss mehr Breite sein. Wir brauchen die Gewerkschaften als Teil der Bewegung, viele Selbständige und mehr als eine Partei, auf die derzeit die Verantwortung fokussiert wird. Es braucht eine breite europaweite Allianz der konstruktiven politischen Kräfte zur Umsetzung der Klimawende. Das ist die zentrale Chance für die Klimapolitik, aber auch für die weitere Entwicklung der Politik ganz allgemein.

Wir alle müssen es auf diese Art schaffen, die Klimawende zum gemeinsamen großen Ziel Europas zu machen. Das ist zu schaffen, wenn gemeinsam richtig und positiv kommuniziert und gehandelt wird.

Weiter so wie bisher wäre fatal.

Fangen wir doch einfach in diesen kommenden vier Monaten bis zur österreichischen Nationalratswahl damit an. Reden wir über die Zukunft, die dieses Land haben kann. Reden wir darüber, dass dies Umsetzung dieser Vision eine Mehrheit jenseits von Schwarzblau benötigt. Es braucht den Zuwachs einiger weniger Prozentpunkte bei Grünen und anderen. Das ist vor allem bei Jungwähler:innen und Nichtwähler:innen möglich. Bauen wir eine Allianz für eine gute Zukunft. Überraschen wir, setzen wir neue Themen, versuchen wir den Diskurs ins Klimathema und dieses in die Mitte der Gesellschaft und der Medien zu schieben. Wenn es uns gelingt, ein faszinierendes Bild einer möglichen Zukunft Österreichs zu zeichnen, verständlich sichtbar zu machen, dann gewinnen wir und die Klimawende. 

Ich glaube, dass das möglich ist. Und jede meiner vielen Veranstaltungen zur Präsentation meines Buches überzeugt mich davon mehr. 40 Lesungen in zehn Wochen mit großteils sensationellem Besuch und wunderbarer Stimmung zeigen mir täglich aus Neue, dass es jetzt genau diese Hoffnung, diese Zukunftserzählung braucht, die Mut macht.

Rudi Anschober:“Wie wir uns die Zukunft zurück holen“ - Brandstätterverlag.

Alle Termine der Lesereise: www.anschober.at




Beliebte Posts aus diesem Blog

Juniors Welt

Juniors Welt - Fliegen, Lieblingsspeisen und Fremdsprachen

Meine Schlüsse aus den RKI-Files