Innenpolitik im Gerichtssaal
Ich kann allen Leserinnen und Lesern nur raten, sich gerade in diesen Zeiten möglichst breit und aus unterschiedlichen Quellen zu informieren. Das machen auch immer mehr Menschen. Ein gutes Zeichen in Zeiten von Desinformation und Krisen. Die Zivilgesellschaft reagiert auf zunehmende Manipulation und eine schwere Medienkrise mit erhöhtem Interesse und Überprüfen mehrerer Standpunkte.
Ich weiß, dass das auch eine Zeitfrage ist: wer sich wie ich täglich am Morgen die New York Times, den Guardian, wöchentlich mehrere internationale Magazine liest und am Vorabend die Süddeutsche, den Standard und die Krone, der weiß, wieviel Zeit dafür erforderlich ist.
Ich empfehle daher, sich ein paar Newsletter zu abonnieren, die günstig oder gratis sind und die wesentlichen Dinge gut konzentrieren und analysieren. Oft kommt es dabei auch zu unterschiedlichen Meinungen, sodass man sich seine eigene Position selbst bilden kann.
In Österreich empfehle ich dabei die Substanz und den täglichen Morgen-Newsletter des Falter.
Substanz analysiert heute die Auswirkung der Übernahme vieler FP-Positionen durch die ÖVP, wodurch blaue Positionen plötzlich in der öffentlichen Kommunikation zu Mehrheitsthemen werden.
Und der Falter bringt im Newsletter „Blauland“ eine höchst aufschlußreiche Information über die Gehälter mancher Freiheitlicher. Danach kassiert der EU-Spitzenkandidat Vilimsky zusätzlich zu seinem guten Brüsseler Einkommen noch monatlich 1000 Euro für Medienberatung der Wiener FPÖ. Oder Kickl: er kassierte laut dieser Recherche während seiner Zeit als Generalsekretär mehr als 10.000 Euro von der Wiener FPÖ für „Werbung, PR, Marketing, Kommunikation, Strategie“ zusätzlich zu seinem Gehalt als Nationalratsabgeordenter. Bescheidenheit in der Partei der Neidgesellschaft?
„Blauland“ erscheint seit kurzem in unregelmäßigen Abständen und kann auf falter.at genauso bestellt werden wie der morgendliche Newsletter des Falter. Heute etwa bringt Chefredakteur Florian Klenk einen Bericht über den gestrigen Tag des „Kurz-Prozesses“ und damit über den bizarren Auftritt der Russen, eine „Schmierenkomödie“, wie Klenk formuliert.
Und tatsächlich riecht dieser Auftritt recht streng - andere haben auf X formuliert, „es stinkt zum Himmel“.
Wir können froh sein, dass wir in Österreich einen weitgehend funktionierenden Rechtsstaat haben, um den gilt es auch politisch zu kämpfen. Die Justizministerin ist ein Garant dafür, kritische Journalisten sind ebenfalls ein Kapital für den Rechtsstaat. Nun setzt dieser Rechtsstaat den ersten Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler um. Und je länger er andauert, desto mehr bizarre Erscheinung werden sichtbar. Der bisherige Höhepunkt war der gestrige (Nicht)Auftritt zweier russischer Zeugen, die - aus welchen Gründen auch immer - aufgetreten waren, um die Anklage zu schwächen. Plötzlich wurde der eine kurzfristig krank, plötzlich wurde im Zeugenstand nicht mehr von „Lüge“ gesprochen, plötzlich drehten sich die Fragen: warum haben die beiden Russen Kontakt zu Thomas Schmid aufgenommen, warum war der Kurzanwalt irgendwie beteiligt an der Erststellung der eidesstattlichen Erklärung der beiden Zeugen. Oder doch nicht?
Das wird nun ein spannendes Finale des Prozesses: Ende Februar soll Thomas Schmid noch einmal einvernommen werden und auch der kurzfristig erkrankte zweite Russe. Und der Kurz-Anwalt? Und dann das Urteil erfolgen.
Ein Prozess, der am Höhepunkt endet. Und viel aussagt über Österreichs Innenpolitik. Bei dem es um sehr viel geht: für Kurz, aber auch für die WKStA, der Ungeheuerliches unterstellt wird.
Und dennoch: es ist ein Prozess der Aufarbeitung und daher wichtig, aber er sollte die Arbeit in der Innenpolitik nicht in den Schatten stellen. Denn da geschieht derzeit viel, zum Beispiel die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Und auch sonst passiert enorm viel, das oft nicht den gebührenden Platz in der medialen Öffentlichkeit erhält: zB die gestern veröffentlichte Studie von Wirtschaftswissenschaftler:innen über die Wege zu Österreichs Klimaneutralität bis 2040, die - so das Ergebnis - nicht nur machbar sind, sondern auch hohe Vorteile für Wirtschaft und Arbeitsmarkt bewirken würden. Wie ich immer sage: Klimaschutz ist kein Verzichtsprogramm, sondern der Türöffner zu einem besseren Leben.
Und dennoch wird das Ende des Kurzprozesses Ende Februar ein Grundsatzurteil bringen: entweder das Ende eines jahrelang dominanten Systems der Innenpolitik oder aber…..