Würde
Diese Woche hatte ich ein Gespräch mit einem von mir sehr geschätzten Psychologen über die „Würde“. Meine anfängliche Skepsis wich sehr rasch einer Begeisterung. Die letzten Tage bestätigten dies auf traurige Weise.
Würde - ein scheinbar altmodischer Begriff, in Vergessenheit geraten, niemand spricht mehr über sie. Und doch brauchen wir sie auch heute, jeder von uns: in Würde alt werden, in Würde Konflikte leben, in Würde arbeiten, in Würde sterben, in Würde miteinander umgehen, in Würde Kritik aneinander üben - das sind Menschenrechte.
Wenn wir uns wieder angewöhnen würden, bevor wir schreiben einen Moment zu überlegen, was wir dem anderen antun mit Formulierungen, Fotos. Was es bedeutet, jemandem die Ehre abzuschneiden. Wo Gewalt beginnt.
Aber die anderen machen es doch auch….., war die letzten Tage vielfach die Antwort, wird als Rechtfertigung für alles gebraucht, beschleunigt die Spirale.
Das Netz ist ein Wunderwerk, eine unerschöpfliche Quelle des Wissenserwerbes und der Kommunikation. Aber auch ein Brandbeschleuniger für Verletzungen durch Respektlosigkeiten. Eine Möglichkeit, bedenkenlos schnell Urteile zu sprechen, Menschen in Sekundenbruchteilen zu verleumden, zu verurteilen ohne jede Chance der Rechtfertigung, ohne Untersuchung, ohne Rede und Gegenrede, ohne Prüfung des Wahrheitsgehaltes. Die Würde von Menschen zu vernichten. Hinrichtungen im öffentlichen Raum.
Wer sind die Menschen, die gestern und heute Nacht stundenlang hämisch gepostet haben? Als würden sie über Steine oder Kleidung diskutieren. Die glauben über andere Urteilen zu können, lange bevor es irgendein Urteil gibt.
Warum überlassen wir die Tätigkeit der Kontrolle - etwa die Überprüfung von wissenschaftlichen Arbeiten selbsternannten „Jägern“ (welch Sprache) und reduzieren diese Diskussion nicht auf Institutionen, die dafür zuständig sind? Keine Aufmerksamkeit für die „Jäger“, dann ist ihr Job sehr schnell beendet. Nur durch unsere Aufmerksamkeit konnten sie ihr Geschäftsmodell lange praktizieren.
Respektvoller Umgang bedeutet, die Würde des anderen zu achten. Seine vitalen Lebensinteressen zu respektieren. Den Pranger abzuschaffen, einzumotten und ins Museum der Geschichte zu stellen. Wieder zu lernen, Kritik annehmbar zu formulieren und nicht mit dem Ziel der Zerstörung der anderen.
Wer das nicht schafft, wer glaubt, immer schriller, verletzender sein zu müssen, sein Geschäftsmodell durch Hass und Verletzung, durch die Zerstörung Andersdenkender verwirklicht, sollte in einer aufgeklärten, menschlichen Gesellschaft geächtet werden, Dieses Verhalten darf nicht einfach hingenommen werden. Da darf kein Steuergeld ausgeschüttet werden, zu diesen Herrschaften darf man nicht ins Studio, ihre Vorwürfe sollte man dort stehen lassen, wo sie hingehören. Im Abseits.
Man muss sie ignorieren. Denn sie leben von der Aufmerksamkeit, begründen ihren Hass ideologisch, aber auch wirtschaftlich.
Reden wir über die Würde. Wie wir in Würde in Zeiten wie diesen miteinander leben können. Was wir dafür verändern müssen. „Blumenregen“, Anerkennung und Solidarität am sichtbaren Beginn von Krisen und nicht an ihrem Ende.
Würde ist ein Menschenrecht. Unsere Gesellschaft, unser Miteinander umzubauen und die Würde der Einzelnen in den Mittelpunkt zu stellen, ist eine der Herausforderungen.