Betreutes Regieren?

 In den USA gewinnt der Präsidentschaftswahlkampf an Fahrt - im November wird nicht nur über die Zukunft  der Vereinigten Staaten abgestimmt, sondern vielfach über jene unseres Planeten. Da ein Demokrat, dort ein Autokrat. Da ein sozialer Mensch, dort ein Zyniker. Da ein Sachpolitiker, dort ein Populist. Da ein Politiker, der an die Interessen der Welt denkt, dort ein Nationalist. Da ein Klimaschützer, dort ein Klimaleugner.

Unterschiedlicher könnten jene beiden Kandidaten nicht sein, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zur Wahl stehen werden. Nur zwei Punkte einen sie: ihr Alter und ihr Geschlecht. 

Und nicht die Frage, warum nicht endlich in den USA eine Frau Präsidentin wird, nicht die Qualifikationen, sondern das Alter der beiden bestimmt die Debatte. Geboren 1942 bzw 1946, beide mit einigen sichtbar gewordenen kognitiven Aussetzern, doch die heftige Debatte wird aktuell über Joe Biden geführt. Hauptgrund: in einem Test konnte er den genauen Todestag seines Sohnes nicht nennen. Die Süddeutsche Zeitung stellte diese Debatte unter den Titel „Betreutes Regieren“ und thematisierte geistige Fitness und moralische Verkommenheit.

Sterbedaten nicht exakt nennen zu können, kann übrigens viele Gründe haben, kann auch mit Verdrängung zu tun haben. Aber ist hohes Alter alleine schon ein Grund für fehlende Qualifikation?

Ich denke, es ist ein guter Zeitpunkt, über unseren Umgang mit Alter nachzudenken. Ja, im Alter verändert sich vieles: unsere körperliche Leistungsfähigkeit, unser Aussehen, aber auch unsere Erfahrung. Unterschiedliche Gesellschaften leben daher unterschiedliche Bewertungen des Alters. In vielen Ländern des Südens werden daher alte Frauen und Männer als weise bezeichnet, ihnen wird eine spezielle Position in der Gemeinschaft gegeben.

Unsere Gesellschaft hingegen ist auf der Flucht vor dem Alter: Schönheitsoperationen sollen unser Aussehen stabilisieren, die Farbe der Haare soll sich nicht verändern, spezielle Fitnessprogramme sollen uns gleichsam einfrieren und die Veränderung aufschieben.

Wir sollten lernen, die positiven und die negativen Seiten des Alterns zu akzeptieren. Ich weiß, wie schwer das ist. Und genauso mit Jugend umgehen. Auch sie hat Vorteile und Nachteile. Ich habe beides probiert und wenn ich mich entscheiden könnte, mich für ein bestimmtes Alter entscheiden zu können, bin ich mir nicht sicher, welches ich wählen würde.

Und genauso geht es mir in der Politik: Jugend und Alter alleine sind keine Qualifikation und vor allem kein Ausschluss. Ich freue mich über eine großartige  junge Spitzenkandidatin bei den EP-Wahlen, die hochqualifiziert und engagiert ist und vor allem für die richtigen Themen steht, halte aber auch ältere Menschen für qualifiziert. Jugend und Alter alleine sollte weder Qualifikation noch Ausschluss sein.

Es geht um eine gute Vertretung aller Altersgruppen, es geht aber vor allem um Werte, Haltungen, Qualifikation. Menschen die Qualifikation aufgrund ihres Alters abzusprechen, ist Diskriminierung.

Diese Angriffe auf Joe Biden sollten eine Diskussion auslösen: über die Chancen der Jugend und die Würde des Alters. Und der Rollen beider in unser Gesellschaft. Reformbedarf gibts in beiden Bereichen.

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