Hauptproblem Vertrauenskrise

 Jeder der 111 Vorträge seit meinem Ausstieg aus der Bundesregierung war besonders, die beiden in dieser Woche hatten aber noch einmal eine eigene Qualität, die mir die Chance gibt, Entwicklungen sehr unmittelbar zu erkennen. Montag bei der Caritas vor 150 Pflegekräften habe ich gemerkt, wie stark der Veränderungsbedarf in der Pflege trotz der beiden aktuellen Reformschritte noch ist und dass die Lücke im Personalbereich weiter zunimmt. Und wie positiv dennoch der Zugang der Mitarbeiter:innen zu ihrem Beruf ist. Gestern war ich nach einer sehr kurzen Nacht in der Hofburg beim Kongress der Ögari, der Vereinigung der Anästesisten und Intensivmedizinerin und sprach bei meiner Keynote vor 1000 Ärzt:innen eine Stunde über die Konsequenzen aus der Pandemie. Da nahm ich neben einer Welle an Sympathie und Zustimmung sehr genau mit, wieviele Signale es bereits wieder vor Ort in den Spitälern gibt, die Lehren aus der Pandemie nicht nur vielfach nicht zu ziehen, sondern jetzt auch wieder in die Zeit vor der Pandemie zurückzufallen.

Durch die Vorträge und die Nachgespräche im Anschluss an die Vorträge habe ich die Chance, am Puls der Entwicklungen zu sein und diese weiter transportieren zu können - in Gesprächen, in Kolumnen, in Büchern und in den nächsten Vorträgen und an speziellen Problemfeldern zu arbeiten.

Gestern sind mir noch zwei Dinge aufgefallen: jeder Vortrag bringt derzeit im Schnitt zwei weitere Veranstalter.

Und: unser größtes Thema für die Krisenbewältigung ist mittlerweile die Vertrauenskrise, die auch ganze Regierungen kippen lassen und Europa in ernste Probleme bringen könnte - die Wahlergebnisse in der Slowakei und nun in den Niederlanden, die drohende Fortsetzung in Frankreich sind nur einige Beispiele dafür.

Das Vertrauen in  Institutionen und frühere Autoritäten wie Regierung, Medien, Justiz, Ärzt:innen verfällt, die internationalen Studien dazu zeigen dramatische Ergebnise: 70 Prozent der Bewohner:innen der USA haben Informationen zu Pandemie verweigert, 30 Prozent öffnen das Ergebnis der Gesundheitsuntersuchung nicht mehr, 30 Prozent der Deutschen verweigern Informationen zur Klimakrise, über die Hälfte Informationen über den Krieg.

Verweigerung und Verdrängung sind die Auswirkungen der Vertrausenskrise. Doch wie informiert man diese schnell anwachsenden Teile der Bevölkerung, wie schafft man mit ihnen gemeinsam eine Bewältigung der Krisen?

Jetzt werde ich mich mit Expert:innen zusammensetzen, wie die politischen Antworten auf diese alarmierende Entwicklung aussehen können, wie die Anschlussfähigkeit, die Dialogbereitschaft wieder hergestellt werden kann.

Ich denke einerseits durch Aufarbeitung und Dialog über die Pandemie und andererseits bei der Klimakrise durch mehr Einbeziehung der Betroffenen. Die Varianten der Verkehrsberuhigung im Stadtteil als ein Beispiel könnten den Betroffenen vor Ort vorgelegt werden zur Diskussion und Entscheidung, um die Veränderung besser abzusichern und die Dialogverweigerer schrittweise wieder einzubeziehen und ihr völliges Abtriften in Scheinwelten zu verhindern. Eine tiefe Demokratisierung mit modernen Instrumenten scheint mir derzeit die einzige erfolgversprechende Antwort auf die Krise der Demokratie als Folge der Vertrauenskrise zu sein.

Nur geeinte Gesellschaften kommen gut durch Krisen, wie dies am Beginn der Pandemie bei der ersten Welle gelungen ist. Von der Abspaltung eines wesentlichen Teils profitiert nur die extreme Rechte.

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