Die tägliche Nabelschau

 Derzeit bin ich Frühaufsteher. In jungen Lebensjahren war das ganz anders - jede Minute Schlaf wurde am Morgen ausgekostet. Heute macht es mir nichts mehr aus, täglich um 5 aufzustehen, um mit Junior rauszugehen. Außerdem mach ich das für den kleinen Prinzen gerne und zweitens weiß ich, dass sich die Schlafzeit wieder verlängern wird - schon jetzt schafft es der Kleine über immer längere Zeit ohne „Gschäftl“.

Früh aufzustehen, bedeutet auch mehr Zeit für meinen morgendlichen Rundblick zu haben. Viele Medien bieten mittlerweile in höchster Qualität Morgen-Newsletter an - vom Falter bis zu den New York Times, für mich der ideale Einstieg in den Tag und Überblick in das Geschehen. 

Dabei fällt mir auf, wie unterschiedlich die Schwerpunkte der Medien definiert sind. Guardian, die Zeit, die Süddeutsche, die NYT etc orientieren sich großteils am internationalen Geschehen, Österreichs Medien hingegen vielfach an den nationalen Tragödien  oder was wir dafür halten - Ö1 und einige wenige andere sind dabei eine rühmliche Ausnahme. 

Und so diskutieren wir auch: wir überbewerten unsere nationalen Höhen und Tiefen und übersehen vielfach die für uns selbst viel entscheidenderen internationalen Entwicklungen. Wir sehen noch immer Wien als das Zentrum der Innenpolitik, obwohl viel mehr in Brüssel entschieden wird. Und so konzentrieren wir uns seit Jahren auf die Skandale, die tatsächlich dringend aufgeklärt werden und zu Reformen führen müssen.

Wir verlieren auf diese Art vielfach den Überblick. Wir fragen beim Klimaschutz noch immer, warum wir in Österreich handeln sollen, solange doch die anderen nicht handeln. Und merken gar nicht, dass uns der Zug der internationalen Klimawende längst um die Ohren fahren - was uns ermutigen könnte.

Wir tun uns dadurch besonders schwer, die Ursachen der vielen Krisen zu verstehen und schieben die Verantwortung dafür schlechten Politiker:innen und der Regierung zu. Auch da mag es Fehler geben, aber die Ursachen für die Polykrisen liegen nicht hier. Das nicht verstehen zu können, treibt uns in Resignation und Fehleinschätzungen, vielfach auch in Fluchtverhalten.

Und durch diese Nabelschau ist es für uns offensichtlich besonders schwer, gelassener zu werden und nicht beim täglichen vermeintlichen Skandal Verschwörung und Weltuntergang zu mutmaßen, sondern etwas stärker den Blick über unseren Tellerrand zu wagen.

Das wäre Aufgabe von Politik, Bildungsarbeit und Medien und ein Teil notwendiger Aufklärung. Mehr internationale Einordnung, mehr Verständnis für Entwicklungen zu ermöglichen statt einer Überbewertung der täglichen lokalen Aufregung.

Ich bin bekennender Fußballfans. Dabei finde ich besonders interessant, wie erfolgreich die Tätigkeit des Nationalteams derzeit ist - unter Führung eines Deutschen, der uns immer wieder zeigt, dass es nach Siegen keinen Grund für Euphorie gibt, nach Niederlagen aber auch die Depression unangebracht ist. Es bleiben in beiden Fällen im wesentlichen dieselben Kicker. Er wirkt als Gegenrezept gegen unseren Hang zum Manisch-Depressiven.

Ein bisschen mehr Aufgeglichenheit, Selbstvertrauen und Offenheit würde uns guttun. Mit Medien, die dem internationalen Geschehen mehr Platz geben und einer Presseförderung, die das stärker unterstützt. Mit einer Bildungsarbeit, die diesen Zugang für Jugendliche auftut.

Übrigens auch auf europäischer Ebene: wo bleiben denn die europäischen Medien, die auch unsere Identität als Europäer:innen verstärken würden, eine europäische Medienförderung?

Substanz.at, wieder einmal von mir dringend empfohlen, zeigt heute, dass wir Österreicher:innen jedoch gar nicht so anders ticken wie andere Europäer:innen, dass auch hier viel Bereitschaft zu notwendigen Reformen vorhanden ist. Also gehen wir’s doch an. Politiken, die dies voranstellen, werden belohnt - spätestens bei den Wahlen im kommenden Jahr.


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